Forschungsprojekt: Gewissenhaftigkeit von Mitarbeitern in Organisationen

Im Rahmen eines Forschungsprojekts im Fachbereich Betriebswirtschaft der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) Jena wurden durch Prof. Dr. Klaus Watzka internationale psychologische Studien zum Persönlichkeitsmerkmal „Gewissenhaftigkeit“ von Mitarbeitern gesichtet und systematisiert.

Die mit diesem Persönlichkeitsmerkmal einhergehenden Chancen und Risiken für Organisationen wurden zusammengestellt und praktische Handlungsempfehlungen zum personalwirtschaftlichen Umgang mit der Gruppe der gewissenhaften Mitarbeiter entwickelt. Die Forschungsergebnisse wurden in einer soeben erschienenen Monografie veröffentlicht.

Bibliografie:

Watzka, Klaus: Erfolgsfaktor Gewissenhaftigkeit von Mitarbeitern – Theoretische Grundlagen und praktische Managementempfehlungen. Wiesbaden: Springer Gabler Verlag 2021 (333 Seiten)

Einige ausgewählte Grundlagen und Zusammenhänge und empirischen Erkenntnisse sind nachfolgend dargestellt.

Zur Person:

Prof. Dr. Klaus Watzka ist an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena Hochschullehrer für Allgemeine Betriebswirtschaft, insbesondere Personalmanagement.

Kontakt: klaus.watzka@eah-jena.de; 03641/440120

 

Erfolgsfaktor Gewissenhaftigkeit von Mitarbeitern

Jeder Arbeitgeber wünscht sich wohl gewissenhafte Mitarbeiter. Diese Eigenschaft ist Bestandteil der sogenannten „Big Five“. Der Begriff adressiert nicht nur Löwe & Co in Afrika, sondern steht in der Psychologie für die wichtigste Taxonomie von Persönlichkeitsfaktoren. Über fünf Merkmale lässt sich die Unterschiedlichkeit von Menschen hinreichend präzise, zeitlich stabil und kulturübergreifend in kompakter Weise beschreiben. In englischer Sprache und geordnet nach dem Akronym OCEAN sind dies:

  • Openness (= Offenheit)
  • Conscientiousness (= Gewissenhaftigkeit)
  • Extraversion (= Extraversion)
  • Agreeableness (= Verträglichkeit)
  • Neuroticism (= Neurotizismus; Emotionale Stabilität)

Für die Messung dieser Persönlichkeitsmerkmale – und damit auch für Gewissenhaftigkeit – liegen standardisierte und bewährte psychologische Testverfahren vor. Für eine weitere Differenzierung der Persönlichkeit unterteilt man die Merkmale (= Domänen) noch in jeweils sechs Facetten. Bei der hier interessierenden Domäne „Gewissenhaftigkeit“ sind dies:

  • Kompetenzvertrauen
  • Ordnungsliebe
  • Pflichtbewusstsein
  • Leistungsstreben
  • Selbstdisziplin
  • Besonnenheit

Gewissenhaftigkeit (inklusive ihrer Facetten) ist alltagspsychologisch sehr positiv konnotiert. Dies gilt auch für das Wirtschaftsleben. Lobende Charakterisierungen von verdienten Mitarbeitern nutzen oftmals diesen Begriff. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sind qua § 4 ihrer Berufsordnungen auf Gewissenhaftigkeit verpflichtet. Eine Analyse von Stellenanzeigen im Internet zeigt, dass Anforderungsmerkmale aus dem Kosmos „Gewissenhaftigkeit“ mehr als fünf Mal so häufig Verwendung finden wie solche aus dem Kosmos „Leistung“ (z. B. Leistungsmotivation, -orientierung, -bereitschaft). Unternehmen legen also hohen Wert auf solche traditionellen Tugenden. Sie werden in Einstellungsinterviews und Assessment Centern abgeprüft, in Arbeitszeugnissen bescheinigt und in personalwirtschaftlichen Instrumenten wie Stellenbeschreibungen und Leistungsbeurteilungen berücksichtigt.

Generell sind die Big Five-Persönlichkeitsmerkmale mit ihren Auswirkungen empirisch sehr gut beforscht. Speziell zum Merkmal „Gewissenhaftigkeit“ existiert eine umfassende Metaanalyse zweiter Ordnung – also eine Zusammenfassung aller zusammenfassenden Studien – mit dem Titel „A Century of Research in Conscientiousness“ (Wilmot & Ones 2019). Es zeigt sich, dass Gewissenhaftigkeit signifikante Korrelationen mit unternehmerisch relevanten Zielvariablen aufweist und wichtige Erklärungsbeiträge zu vielen personalwirtschaftlich relevanten Phänomenen liefern kann. Einige ausgewählte Zusammenhänge sollen nachfolgend thematisiert werden. Vorab aber noch zwei wichtige Vorbemerkungen.

  1. Der erbliche Anteil von Gewissenhaftigkeit wird zwischen 22 und 40 % eingeschätzt und ist damit von allen Big Five am geringsten. Es bleibt also noch großer Raum für betriebliche Sozialisationsprozesse.
  2. Mit der Vorstellung „Viel hilft viel“ eine maximale Gewissenhaftigkeit von Mitarbeitern anzustreben, wäre naiv. Es gibt in der Organisation auch Übersteigerungsgefahren, sozusagen eine „dunkle Seite von Gewissenhaftigkeit“, die betriebswirtschaftlich kontraproduktiv sein kann. Insofern sind als wichtige Situationsfaktoren für ein ideales Niveau an Gewissenhaftigkeit immer die konkrete Arbeitsaufgabe, Branche und Organisationskultur im Auge zu behalten.

Welche positiven Wirkungen hat nun Gewissenhaftigkeit in Organisationen?

  • Die zentrale Erwartung jedes Arbeitgebers an den Mitarbeiter ist eine möglichst gute Arbeitsleistung. In überaus zahlreichen Studien erwies sich Gewissenhaftigkeit innerhalb der Big Five als mit Abstand bester Prädiktor für die individuelle Leistung im Beruf. Dies gilt über verschiedene Berufsgruppen, Länder und unterschiedliche Definitionen/Messansätze für Leistung hinweg. Analog zeigt dieses Merkmal auch sehr hohe Prognosekraft für die Leistung von Auszubildenden, Studierenden und Schülern. Es sind insbesondere die Facetten Leistungsstreben und Pflichtbewusstsein, die große Erklärungskraft haben. In kooperativ ausgelegten Berufsfeldern entfaltet Gewissenhaftigkeit einen besonders starken Effekt auf die Leistung, wenn sie im Verbund mit hoher Verträglichkeit und ausgeprägten Sozialqualifikationen auftritt. Im Hinblick auf die Motivation als wichtigen Treiber von Leistung weisen gewissenhafte Mitarbeiter – insbesondere im Verbund mit geringem Neurotizismus (= hohe emotionale Stabilität) – ein höheres Niveau auf. Sie zeigen stärkeres Arbeitsengagement, intensiveren Ehrgeiz und können auch bei langweiligen Routineaufgaben ihre kognitive Anstrengungsbereitschaft hochhalten. Prokrastinationstendenzen zeigen sie kaum. Soweit zur individuellen Leistung. In Arbeitsgruppen ist der leistungssteigernde Effekt nicht so deutlich und variiert auch zwischen den Arbeitsaufgaben. Hier wird der Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen von gruppendynamischen Effekten überlagert. Im Hinblick auf Managementfunktionen gehört zur ganzen Wahrheit, dass sich die Beförderungschancen leicht reduzieren, wenn die Gewissenhaftigkeit eher auf den defensiven Facetten beruht (Ordnungsliebe, Selbstdisziplin, Besonnenheit, Pflichtbewusstsein) und weniger auf dem offensiven Leistungsstreben.
  • Arbeitsrechtlich ist es nicht einforderbar, aber für Organisationen höchst erfreulich, wenn Mitarbeiter positive Verhaltensmuster über ihre arbeitsvertraglichen Pflichten hinaus zeigen. Man spricht dann von „extrafunktionaler Leistung“ oder englisch von „Organizational Citizenship Behavior (OCB)“. Es ist Verhalten, das sich positiv auf die Funktionsfähigkeit der Organisation auswirkt und im formalen Anreizsystem nicht explizit belohnt wird. Typische Beispiele: Selbstlose Unterstützung von Kollegen bei Problemen, proaktive Information von und Abstimmung mit anderen Mitarbeitern vor Handlungen, schonender Umgang mit Betriebsmitteln, positive Darstellung der Organisation nach außen (Imagebotschafter), aktive Teilhabe am Organisationsleben zur Betriebsklimapflege, Regeltreue auch ohne Kontrolle, initiatives Handeln auch ohne explizite Anweisung, gelassenes Ertragen der alltäglichen kleinen (sozialen) Probleme im Unternehmen. Gewissenhaftigkeit ist bedeutsam positiv mit OCB korreliert.
  • Im Hinblick auf Zufriedenheit zeigt sich, dass gewissenhafte Mitarbeiter ein höheres Niveau an Arbeitszufriedenheit und allgemeiner Lebenszufriedenheit aufweisen. Sie gehen bei allen Anforderungen planvoller/systematischer vor, erreichen daher ihre Ziele, haben „die Dinge im Griff“ und realisieren daher für sich generell ein höheres Niveau an extrinsischen und intrinsischen Belohnungen. Diese Erkenntnis ist nicht unerheblich für die Bindung ans Unternehmen. Wer zufrieden ist, hat weniger Veränderungsdruck. So lässt sich dann empirisch auch eine niedrigere Fluktuationstendenz von gewissenhaften Mitarbeitern feststellen, insbesondere wenn sie gleichzeitig über eine hohe emotionale Stabilität verfügen.
  • Ein kostenintensives Sorgenthema für jede Personalabteilung sind krankheitsbedingte Fehlzeiten. Auch hier zeigen gewissenhafte Mitarbeiter ein niedrigeres Niveau. Wichtige Einflussfaktoren sind dabei eine nachgewiesene gesündere Lebensführung im Privatbereich, aber auch eine höhere Disziplin für die Einhaltung unfallverhütender Sicherheitsvorschriften bei der Arbeit. Aufgrund ihres Pflichtbewusstseins tendieren sie generell weniger zu Absentismus. Allerdings schießen sie mitunter auch übers Ziel hinaus, indem sie sich verstärkt krank zur Arbeit schleppen und damit unerwünschten Präsentismus zeigen.
  • Mitarbeiter können ihren Arbeitgeber und andere Mitarbeiter auf vielfältige Weise schädigen. Mit einem Sammelbegriff spricht man von „Kontraproduktivem Arbeitsverhalten (KAV)“. Das Phänomen ist äußerst facettenreich. Es reicht vom schweren Bilanzbetrug, Korruption, Diebstählen, Sabotage, über rücksichtslosen Umgang mit Betriebsmitteln, Arbeitszeitmanipulation, Informationsmissbrauch, sexuelle Übergriffigkeiten, absichtlicher Minderleistung, bis hin zu Verstößen gegen Sicherheitsvorschriften, Suchtmittelmissbrauch, unangemessenem Verbalverhalten gegenüber Kollegen oder Cyberloafing (privates Surfen während der Arbeitszeit). Innerhalb der Big Five ist Gewissenhaftigkeit das Persönlichkeitsmerkmal, das am höchsten negativ mit KAV korreliert ist (vor Verträglichkeit).

Kommen wir zur Rückseite der Medaille. Zu stark ausgeprägte Gewissenhaftigkeit kann auch negative Effekte haben.

  • Solche Mitarbeiter können wegen einer zu starken Detail- und Perfektionsorientierung mitunter nicht ihr potenzielles Leistungsoptimum realisieren. Eine zu große Besonnenheit und die damit einhergehenden längeren Abwägungsprozesse vor Handlungen oder Entscheidungen könnten im Verbund mit einer starren Regeltreue, die einem hohen Pflichtbewusstsein entspringt, dazu führen, dass Schnelligkeit und Flexibilität im Handeln verloren gehen. Insbesondere in Unternehmen, die VUKA-Rahmenbedingungen (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität) ausgesetzt sind und daher auf Agilität im Handeln angewiesen sind, kann das zum Problem werden.
  • Im Hinblick auf Innovation und Wandel haben gewissenhafte Mitarbeiter eine gewisse Vorbelastung. Aufgrund ihrer Ordnungsliebe, Besonnenheit und ihres Pflichtgefühls und der damit einhergehenden starken Bindung an Strukturen und Regeln und einer Präferenz für gut planbare Arbeitssituationen vermeiden sie tendenziell Situationen, die von hohem Risiko und Unsicherheit geprägt sind. Zur Verteidigung von Strukturen könnten sich auch Änderungswiderstände zeigen. Für Innovationsorientierung sind das suboptimale Voraussetzungen. Andererseits sind gewissenhafte Mitarbeiter aufgrund ihres Leistungsstrebens und Pflichtbewusstseins aber auch gut durch konkrete Innovationsziele aktivierbar.
  • Für das Betriebsklima könnten gewissenhafte Mitarbeiter im Einzelfall problematisch sein. Dies ist dann der Fall, wenn sie an ihr soziales Umfeld die gleichen hohen Maßstäbe in puncto Leistungsorientierung, Arbeitseinsatz und Sorgfalt legen wie an sich selbst. Möglicherweise blenden Sie auch wegen einer zu starken Fixierung auf ihre Aufgaben (Pflichtbewusstsein!) die innerbetriebliche Pflege von Sozialbeziehungen zu stark aus oder negieren Unterstützungswünsche von Kollegen.

In Summe überwiegen die positiven Effekte einer hohen Gewissenhaftigkeit deutlich. Dem betrieblichen Personalmanagement wäre daher zu folgenden Maßnahmen zu raten:

  1. Die Feststellung des Niveaus an Gewissenhaftigkeit sollte ein Standardmodul in der Personalauswahl sein. Zur Messung bieten sich gut validierte psychologische Testverfahren an (z.B. NEO-PI-R, NEO-FFI, BFI, RBFP). Denkbar sind aber auch eine spezifische Analyse der Dokumente in der Bewerbungsunterlage, gezielte Fragen im Bewerberinterview über die Technik des situativen oder des verhaltensorientierten Interviews oder auch der Einsatz speziell zugeschnittener Assessment Center-Module
  2. Mitarbeiter sollten das eigene Big Five-Profil kennen und für seine Auswirkungen auf ihr eigenes Arbeits- und Leistungsverhalten samt seiner      Abstrahleffekte auf die Kollegen sensibel sein. Dies kann über Coaching- und Trainingsmaßnahmen oder Beurteilungs- und Feedbackprozesse  sichergestellt werden.
  3. Im Rahmen von Personaleinsatzentscheidungen ist sorgfältig zu analysieren, für welche Aufgaben und Unternehmensbereiche ein Mitarbeiter mit einem bestimmten Gewissenhaftigkeitsniveau geeignet ist und für welche eher nicht. Überall dort, wo relativ stabile Rahmenbedingungen und gut planbare Arbeitsaufgaben existieren, und wo es stark auf die präzise Einhaltung von Vorgaben und Regeln ankommt, sind ausgeprägt gewissenhafte Mitarbeiter erforderlich. Überall dort, wo komplexe und sich schnell verändernde Rahmenbedingungen existieren, die hohe Agilität erfordern, kann eine stark ausgeprägte Gewissenhaftigkeit zum Leistungshemmnis werden.